Schlafkrankheit: Das Versteckspiel der Erreger
30.10.2024
Ein internationales Team gewinnt neue Erkenntnisse darüber, wie der Parasit Trypanosoma brucei der Immunabwehr des Menschen entkommen kann.
30.10.2024
Ein internationales Team gewinnt neue Erkenntnisse darüber, wie der Parasit Trypanosoma brucei der Immunabwehr des Menschen entkommen kann.
Ein internationales Forschungsteam hat entdeckt, dass Trypanosoma brucei, der Erreger der Schlafkrankheit, hauptsächlich in Geweben außerhalb des Blutkreislaufs seine antigenen Oberflächenproteine, die sogenannten VSGs (Variant Surface Glycoproteins), verändert. Diese Ergebnisse könnten neue Ansätze zur Bekämpfung dieser lebensbedrohlichen Infektion bieten, sagt Professor Nicolai Siegel, der mit seinem Team maßgeblich an der Untersuchung beteiligt war, die jetzt im renommierten Fachblatt Nature erschienen ist. Siegel leitet die Arbeitsgruppe Molekulare Parasitologie (Lehrstuhl für Experimentelle Parasitologie, Veterinärwissenschaftliches Department) am Biomedizinischen Centrum München der LMU.
Die Schlafkrankheit, die in Afrika durch den Stich der Tsetse-Fliege übertragen wird, bedroht Mensch und Tier gleichermaßen. Typische Symptome sind Fieber, Lethargie und im fortgeschrittenen Stadium schwere neurologische Störungen. Unbehandelt führt die Krankheit zum Tod. Eine der größten Herausforderungen bei der Behandlung der Schlafkrankheit ist die Fähigkeit des Parasiten, dem Immunsystem des Wirts durch kontinuierlichen Wechsel der Oberflächenproteine zu entkommen. Dieser Mechanismus, bekannt als „antigene Variation“, schützt den Parasiten vor Immunangriffen, da das Immunsystem auf neue, unbekannte Proteinvarianten reagieren muss.
Bisher ging man davon aus, dass diese antigenen Veränderungen hauptsächlich im Blutkreislauf stattfinden. Die neue Studie zeigt jedoch, dass T. brucei die meisten seiner VSG-Varianten in extravaskulären Geweben wie Haut, Fettgewebe und anderen Organen erzeugt. In diesen Geweben ist das Immunsystem weniger aktiv, was dem Parasiten mehr Zeit verschafft, um eine Vielzahl neuer Varianten zu produzieren, bevor er erneut ins Blut gelangt. Diese „sicheren Zonen“ im Körper bieten dem Parasiten somit die Möglichkeit, eine chronische Infektion aufrechtzuerhalten und sich gegen Immunangriffe zu wappnen.
Die Forscher verwendeten eine spezielle Art der Einzelzell Hochdurchsatzsequenzierung, etabliert in der Arbeitsgruppe Siegel an der LMU, um die VSG-Diversität von T. brucei zu analysieren. Sie entdeckten, dass über 75 % der VSG-Varianten ausschließlich in diesen Geweben zu finden sind und dass die Vielfalt dort um das Zwei- bis Vierfache höher ist als im Blut. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass extravaskuläre Gewebe als Hauptreservoir der antigenen Vielfalt dienen, die für die Immunflucht entscheidend ist.
Die Entdeckung der Rolle dieser Gewebe eröffnet neue Perspektiven für die Therapie der Schlafkrankheit. Die gezielte Blockade des Eindringens von T. brucei in diese immunologisch geschützten Gewebe könnte die Infektion eindämmen, indem sie die Variabilität der VSGs verringert und das Immunsystem unterstützt, den Parasiten zu erkennen und anzugreifen.
Diese Ergebnisse bieten neue Einblicke in die komplexe Beziehung zwischen Wirt und Parasit und könnten ein wichtiger Schritt zur Entwicklung effektiverer Therapien gegen die Schlafkrankheit und andere Krankheiten sein, bei denen sich Erreger durch Immunfluchtmechanismen schützen.
Alexander K. Beaver, Zhibek Keneskhanova, Raúl O. Cosentino, Brian L. Weiss, Erick O. Awuoche, Gretchen M. Smallenberger, Gracyn Y. Buenconsejo, Nathan P. Crilly, Jaclyn E. Smith, Jill M. C. Hakim, Bailin Zhang, Bryce Bobb, Filipa Rijo-Ferreira, Luisa M. Figueiredo, Serap Aksoy, T. Nicolai Siegel & Monica R. Mugnier: Tissue spaces are reservoirs of antigenic diversity for Trypanosoma brucei. Nature, 2024